Generation Praktikum


Herzlichen Glückwunsch!
Das Studium ist bestanden!
Was erwartet dich jetzt?
Ein sicherer Arbeitsplatz mit festen Arbeitszeiten, genügend Urlaub, einer guten Bezahlung, fairer Überstundenregelung, netten Kollegen, genau dem richtigen Kreativpensum, dass du dir in den letzten Jahren so herbei gewünscht hast? Ein Chef, der dich versteht und ausreichend fördert?

Nunja, wie wäre es erstmal mit einem Praktikum?
So kann der Arbeitgeber testen, ob du mit seinen ganzen anderen Werbehengsten mithalten kannst. Am besten lässt sich das testen, indem du dich 6 Monate verpflichtest dem Laden loyal zu dienen, jede Pappe aufzuziehen, die er dir vor die Nase hält, jeden Blog nach Bilder zu durchsuchen, jedes noch so sinnlose Produkt, von dem er selbst nicht mal vollends überzeugt ist, zu bewerben und im Idealfall noch die Briefe zur Post bringst. Alles natürlich bei einem Spizengehalt von 400€ im Monat, von denen nicht mal die Miete deiner schäbigen Hamburger Wohnung bezahlt ist.
Herzlich Willkommen, you're living the dream!

Ohne die nötige Priese Sarkasmus auf die Kreativbranche zu schauen ist schier unmöglich.
Nachdem bereits Tausende Euros ins Studium geflossen sind, zig Dienstschichten zur Finanzierung des Lebens, neben BaFöG und Mama geleistet wurden, kriecht man nun wieder daheim an und bettelt nach Almosen in der Hoffnung in dem Laden endlich übernommen zu werden und dann den Traumjob machen zu können für den man sich den Allerwertesten aufreisst.
Dass dieser dann doch anders aussieht, als man sich das ausgemalt hat und eigentlich ein jeder nur nachgestaltet, was "der da oben" vorgibt, lässt die Situation noch unerträglicher erscheinen.
Aber gut, wenn nicht hier, dann eben woanders! Hauptsache den Namen in der Tasche und so heisst es durchhalten. Den Kopf darf man in so einer heiß umkämpften Branche ja bloss nicht hängen lassen, vor allem nicht auf den ersten Metern!
Und so lässt man sich vorgeben, wie man zu denken hat, für den Kunden natürlich. "Hier bitte etwas braver, schon fast spiessig" "Das trifft es nicht, denk eher dem Motto nach -Zielgruppe: alle-" "Richtig toll wäre so etwas aufgefallenes, inspirierendes, rotbraun zum Beispiel"
Und die Wochen ziehen ins Land. Nacht- und Spätschichten werden lächelnd entgegen genommen, selbst wenn schon alle, die mindestens das doppelte von deinem Gehalt verdienen bereits in ihren Betten liegen. Und selbstverständlich stehst du am Folgetag um neun lächelnd in der Küche und schnippelst deinen Obstsalat.
Die letzten Wochen stehen bevor, emotional auf dem Zahnfleisch laufend werden die hart gesparten Urlaubstage auf den Tisch geknallt und nichts wie weg. Mit dem Namen kann es nun nur noch nach Hollywood gehen und nicht weniger!

Voller Enthusiasmus wird die Mappe aufgepimpt mit den tollen Arbeiten aus der Agentur an denen man minimal mitgearbeitet hat, aber irgendwas muss man doch nutzen können nach diesem halben Jahr! Der Lebenslauf wird um diese Zeit bereichert. Es sind nun insgesamt 4 Jahre Freelance plus absoliviertes Praktikum, wer einen da nicht mit Kusshand nimmt ist selbst schuld!

Und sie fliegen raus, Bewerbung nach Berwerbung. Deutschlandweit, Print, Online, Foto, Fashion -  alles wonach das Herz sich sehnt. Monate vergehen.. Ja, ok. Dosensuppen können auch Spaß machen oder Reifenhersteller.. Vielleicht auch die kleine Druckerei an der Ecke.. POS,.. Ist auch Geld..
Das Emailfach gähnt einen an.
Und dann kommen sie langsam zurück. Die Absagen.

"Sehr geehrte/r Herr/Frau XY,

vielen Dank für Ihre Bewerbung.
Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass wir Sie bei der Besetzung der Stelle nicht berücksichtigen können. Wir bedauern, Ihnen keinen günstigeren Bescheid geben zu können.

Bitte sehen Sie unsere Entscheidung nicht als Bewertung Ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten an. Für Ihren weiteren Berufsweg wünschen wir Ihnen viel Erfolg sowie alles Gute für Ihre persönliche Zukunft.

Mit freundlichen Grüßen

Herr/Frau XY"

Aus Zeitgründen nennen wir Ihnen nicht mal, weshalb Sie nicht in Frage kommen.
Wir geben Ihnen auch keine Tipps, wie Sie sich vielleicht hätten bewerben sollen. Wir haben einfach keine Lust.
Da nicht den Glauben an sich, sein Schaffen, das eigene Talent zu verlieren ist fast unmöglich.
"Vielleicht bin ich ja noch gut genug für.."
Jeder Strohhalm wird ergriffen. Selbst über das Angebot ein weiteres 6 Monate Praktikum zu machen wird heimlich
nachgedacht. Die Qualifikationen, die bis dahin gesammelt wurden, die gepimpte Mappe, der eigene Lebensweg
verschwinden in einem Nebel aus Selbstzweifeln.

Besonders schön sind nach Praktika auch Probearbeitstage.
Nachdem die schweren Hürden der intransparenten Auswahlkriterien überstanden sind und man tatsächlich mal
ein Vorstellungsgespräch hat, rennt man den Laden mit dem Ego eines Bullen ein.
"Klar, kann ich alles!" "Ich lern schnell!" "Ja, Pendeln ist nicht wild"
Taumelnd zwischen "Ich mach alles, gebt mir einfach Arbeit" und "Ja, ich bin 3.000 brutto monatlich wert"
hangelt man sich durch das Gespräch.

Erlösenderweise schafft man es auch zur nächsten Base und kann sich einen Tag lang positionieren,
live vor Ort, hinter den Kulissen. "Geil, geschafft!" schreit es lauthals in einem, wenn die "Probekollegin" einen
schon als "die Neue" vorstellt!
Ab hier kann doch nichts mehr schief gehen!
Und so wird der Tag vollends ausgekostet. Man bringt sich überall ein, haut Ideen raus, wie eine Tennisballmaschine
und ist mega kollegial, egal wie lang man allein im Kämmerchen geheult hat.
Fröhlich und in Gedanken schon die tägliche Arbeitsroute planend geht es heim.
Wieder Ruhe. Der neue Stolz sackt ein. Keine Mail, kein Anruf. Innerlich hackt man es ab.
"Gut, dann nehmt meine Ideen und macht eure Tausender damit!"

"Die suchen jede Woche", schreibt eine Freundin, die online gesehen hat, dass man Probearbeiten war.
"Das haben sie mir auch zugesagt!" schreibt eine andere. Man fühlt sich benutzt.
Diente man nun einer Quote?

Und am Ende steht sie wieder da. Die Frage.

"Wo soll ich hin?"
"Vielleicht schule ich um."
"Vielleicht noch ein Praktikum"

27, Freelancer seit 5 Jahren, studiert, eine Mappe voller Kunden und Projekte, gutes aber unsicheres
Einkommen und noch kein Cent in der Rentenkasse.
Danke liebes Wirtschaftssystem! Danke Generation Praktikum!

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